Mittwoch, 16. August 2017


Die Stadt-Verwaltung von Bergisch Gladbach ist der Ansicht, Radfahrer seien zu langsam, verursachen Staus und nötigen andere Fahrer zu Ordnungswidrigkeiten.

Das spiegelt sich auch in dem Stellenwert wider, den die Radfahrer in Bergisch Gladbach erleben. Der Fahrrad-Klima-Test 2017 stellt Bergisch Gladbach verdientermaßen zum dritten Mal auf den vorletzten Platz. Quasi ein Hattrick. Glückwunsch!

Wie kommt es zu der eingangs erwähnten Ansicht? Folgendes war der Anlass:

Ab dem neuen Turbo-Kreisverkehr „Schnabelsmühle“ gibt es in Richtung Bensberg auf der rechten Seite einen Gehweg. Seit einiger Zeit ist er benutzungspflichtig für Radfahrende. Es ist nun ein “gemeinsamer Geh- und Radweg”.

Vorher durften Radfahrer auf der Fahrbahn fahren. Die Fahrbahn bestand aus zwei Fahrspuren in Richtung Bensberg. Die Fahrbahn wurde mit dem Bau des Turbo-Kreisverkehrs frisch asphaltiert. Glatt wie ein Kinder-Popo, und super zum Radfahren.
Aber Radfahrer müssen nun auf dem Geh- und Radweg fahren. Weiterhin wurde der Verkehr aus der Gegenrichtung auf die linke Fahrspur gelegt. In jede Fahrtrichtung gibt es also nur noch eine Fahrspur.

Ärgerlich ist vor allem, da es an der nächsten Kreuzung, wo die Benutzungspflicht endet, keine ordentliche Möglichkeit gibt, auf die Fahrbahn aufzufahren. Und der Geh- und Radweg selber besteht aus einem alten Pflaster, das mittlerweile sehr buckelig geworden ist. Wohl dem, der eine gute Federung hat.

Buckeliges Pflaster
Um einen Weg als benutzungspflichtig anzuordnen, muss es ja einen Grund geben, dachte ich mir. Der Grund darf eigentlich nur sein, dass Radfahrende auf der Fahrbahn gefährdet sind. Z. B. durch schnellen und dichten Verkehr.

Warum ist es hier so gefährlich, ein paar Meter weiter aber nicht mehr? Und warum erst seit neuestem? Also fragte ich mal nach.

Meine Anfrage: Ist eine Verkehrsschau der Anlass gewesen? 

Ich wollte mal wissen, ob eine sogenannte Verkehrsschau der Anlass war. Eine Verordnung für die Verwaltungen schreibt Folgendes vor:

Alle zwei Jahre haben die Straßenverkehrsbehörden […] eine umfassende Verkehrsschau vorzunehmen, auf Straßen von erheblicher Verkehrsbedeutung und überall dort, wo nicht selten Unfälle vorkommen, alljährlich, erforderlichenfalls auch bei Nacht. (VwV-StVO zu §45, Rn 57)

Hierrüber muss es ein Protokoll geben. Das wollte ich sehen.

Die Antwort der Verwaltung:
Für den von Ihnen beschriebenen Bereich gab es bisher keine Veranlassung eine Verkehrsbesprechung durchzuführen. 

Das erstaunt mich.

Die Stadt Bergisch Gladbach schaut sich ihre Straße anscheinend also nur an, wenn es einen Grund gibt. Dabei muss die Verkehrsschau immer spätestens alle zwei Jahre für alle Straßen durchgeführt werden. Ausnahme: die darüberstehende Behörde erlaubt es, diese auszusetzen.

Was sollen die Verkehrsschauen bringen? Der Hintergrund ist, dass Verkehrsschauen vorbeugend die Verkehrssicherheit erhöhen sollen, z. B. um zu sehen, dass Schilder unkenntlich sind, die Sicht behindert ist oder Fahrbahnmarkierungen fehlen.

Mangelnde Verkehrsschauen hat bereits der ADAC kritisiert. Er führte im März 2016 eine Umfrage durch, die man hier abrufen kann:

https://www.adac.de/_mmm/pdf/fi_verkehrsschau_behoerdenbefragung_292902.pdf

Das Ergebnis war, dass generell zu wenig Verkehrsschauen durchgeführt werden.

Meine zweite Anfrage: Gibt es sonst einen Grund? 

Zur Begründung oder Entscheidung eine Benutzungspflicht anzuordnen, gab es damals nur eine kurze schriftliche Notiz. Darin der Satz, dass sich alle einig sind: Stadt (Bereiche Ordnung und Verkehrsflächen) und Polizei. Das war’s. Keine Begründung!

Dafür versucht die Stadt-Verwaltung nachträglich Gründe zu konstruieren. Das Spektakel kann beginnen, Vorhang auf.

Viel Verkehr 

Die Verwaltung:
Die Gefahrenlage im Bereich Schnabelsmühle/Bensberger Straße begründet sich zum einen in den Verkehrsstärken und dem Schwerlastverkauf der auf der Bensberger Straße lastet.

Okay, Verkehrsstärke und Schwerlastverkehr sind die Gründe. Ich hoffe nur, man prüft nicht die anderen Strecken in Bergisch Gladbach mit ähnlichen Verhältnissen. Dann müssten an vielen Stellen die Radfahrer wieder mit den Fußgängern „kuscheln“.

Fahrbahn zu schmal: Radfahrer verlieren ihr Recht 

Die Verwaltung:
Des weiteren ist durch den dort statt findenden Zweirichtungsverkehr die Fahrbahnbreite sehr schmal geworden, wodurch für den Radfahrer kein Benutzungsrecht auf der Fahrbahn gegeben ist. 

Oh je, da baut man für viel Geld eine Kreuzung um, baut Straßen zurück, und der Leidtragende ist der Radfahrer… kein Platz mehr für ihn, also ab auf den Gehweg mit ihm.

Und ganz witzig: „kein Benutzungsrecht auf der Fahrbahn“.

Gibt es sowas? Ich kenne nur „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen […]“ (StVO § 2) und „Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist.“ (StVO § 2) (Zeichen 237, 240 oder 241 sind die blauen Schilder mit einem weißen Fahrrad drauf.)

Von Recht ist hier nirgends die Rede. Oder kann jemand mit genaueren juristischen Kenntnissen weiterhelfen?

Radfahrer zwingen andere zu Ordnungswidrigkeiten 

Die Verwaltung:
Das Ãœberholen des Radfahrers auf der Fahrbahn würde den Verkehrsteilnehmer mit Kraftfahrzeug über die durchgezogene Linie in den Gegenverkehr zwingen. 

Warum? Die paar Sekunden können die sich gedulden. Ein paar Meter weiter ist Platz zum Überholen. Solche Stellen gibt es viele in Bergisch Gladbach. Und? Werden deshalb Radfahrer auf Gehwege verbannt?

Da vorne wird die Fahrbahn breiter: Platz zum Ãœberholen.

Radfahrer sind zu langsam 

Die Verwaltung:
Ãœberdies ist zu beachten, dass die in der dortigen Lage vorhandene Steigung zu einer Verlangsamung der Radfahrer führt. 

Irgendwie trifft das auf viele Bergische Straßen zu. Und diese Strecke ist in ihrer Steigung noch harmlos. Aber werden deshalb andernorts Radfahrer auf Gehwege verbannt?

Radfahrer und Krankenhäuser verursachen Staus 

Jetzt kommt der wahre Grund:
Die Verwaltung:
Da es sich bei der Bensberger Straße um eine stark frequentierte Fahrbahn handelt, welche zudem den Zufahrtsweg zu einem Krankenhaus darstellt, ist davon auszugehen, dass der fließende Verkehr an der besagten Stelle sich enorm staut und sogar stockt, sodass im Ergebnis zu erwarten ist, dass die PKW Fahrer die durchgezogene Linie überfahren und in den Gegenverkehr geraten würden. 

Tja, das Krankenhaus ist also ein Grund… Und ohne Radfahrer würde sich der Verkehr dort ja niemals stauen.
Ja, und nochmal ganz deutlich: dass sich PKW-Fahrer ordnungswidrig verhalten, ist die Schuld der Radfahrer.

Bergisch Gladbach ist gefährlich, weil bergig. 

Die Verwaltung:
Die vorhandene Steigung stellt mithin eine örtliche Begebenheit dar, welche eine konkrete Gefahr zur Folge hat. 

Also sind es doch wieder die gefährlichen Steigungen? Ist damit halb Bergisch Gladbach gefährlich? 

Fahrzeuge, die langsam fahren? Unzumutbar! 

Die Verwaltung:
Da die Bensberger Straße eine wichtige Zufahrtsstraße darstellt, kann den Fahrzeugführern nicht zugemutet werden, die Fahrgeschwindigkeit einem durchschnittlichen Radfahrer anzupassen. 

Nein, das geht wirklich nicht. Wo käme man da hin? Man stelle sich mal eine Autobahn vor. PKW-Fahrer müssten die Geschwindigkeit an LKW anpassen, z. B. auf Abbiegespuren, oder wenn ein LKW den anderen überholt. Ein Unding. Oder auf Landstraßen, wo LKW 80 oder nur 60 km/h fahren, müssten PKW lange Strecken hinten dran bleiben. Ein absolutes No-Go.

Sowas geht natürlich auch nicht in Bergisch Gladbach.

Eine zumutbare Zumutung 

Die Verwaltung:
Des weiteren würde auch ein vollumfängliches Ãœberholverbot unverhältnismäßig erscheinen, da den Radfahrern durch den großzügigen Geh- und Radweg von rund 2,73 m bzw. 2,83 m an der Zanders Einfahrt eine durchaus zumutbare Alternative zur Verfügung gestellt wurde. 

Sehr zumutbar, da er eher eine Buckelpiste ist.

Sehr zumutbar, da er keinerlei Aufleitung auf die Fahrbahn am Ende der benutzungspflichtigen Strecke besitzt.


Hier soll eine Aufleitung sein. Oder irgendwann eine hinkommen...





Zwar soll eine Aufleitung hergestellt werden, gesehen habe ich aber noch keine. Das blaue Fußgänger-Radfahrer-Schild war dafür mal wieder schneller aufgestellt.

Nachtrag, 13.07.2018:

Die Aufleitung ist gebaut worden.

Die Weg-Breite wird knapp eingehalten, sie muss mindestens 2,50 m betragen. (VwV-StVO zu §2, Rn. 20)

Ich fasse zusammen, Radfahrer gehören auf den Gehweg, wenn:

  • Fahrbahn zu schmal für KFZ und Radfahrer ist, 
  • Radfahrer zu langsam sind, Steigung vorhanden sind oder 
  • ein Krankenhaus in der Nähe ist. 


Die vollständige Antwort der Stadt Bergisch Gladbach liest man hier: https://fragdenstaat.de/account/go/234673/3df09b862951e38e6e77924b2c101ef0/a/21518%23nachricht-67809

Für die Fotos bin ich extra zum Kreisverkehr gefahren. Dabei wurde ich zweimal extrem knapp überholt. Und zweimal wurde mir zugerufen, dass es einen Radweg gibt. Die Radwege waren handtuchbreit, buckelig, führten an vielen Ausfahrten vorbei und waren dankenswerterweise nicht benutzungspflichtig.

Hier endet die Benutzungspflicht. Ãœbrigens: Finde deine Ampel.

Fazit 

In Bergisch Gladbach fehlt nicht nur eine gute Radinfrastruktur, sondern auch eine Akzeptanz für Radfahrer.